Im Gespräch über Biodiversität mit Dr. Frauke Fischer
Frau Dr. Fischer, vielen Dank dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns ins Gespräch zu kommen. Wir steigen gleich mit dem großen Thema ein, welches uns beschäftigt und in dem Sie die Expertin sind: Biodiversität. In welchem Zustand befindet sich die Biodiversität in Deutschland und welche Haupttreiber sind für diesen Zustand verantwortlich?
Dr. Frauke Fischer: Die Biodiversität in Deutschland ist grundsätzlich in keinem guten Zustand. Global betrachtet sind fünf Haupttreiber für den größten Verlust von Biodiversität verantwortlich: Landnutzungsänderungen, vor allem die Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Flächen als allergrößter Faktor, zudem der Klimawandel, invasive Arten sowie direkte Verfolgung einzelner Arten und die Verschmutzung der Natur, beispielsweise durch Umweltgifte.
Welche dieser Aspekte können oder müssen wir aus Ihrer Sicht regulieren? Und sehen Sie bestimmte Maßnahmen als notwendig an, damit sich der von Ihnen beschriebene Zustand wieder verbessert?
Dr. Frauke Fischer: Invasive Arten sind von diesen Haupttreibern ein Faktor, mit dem wir uns hier in Deutschland eher weniger beschäftigen müssen. Wir haben hierzulande zwar invasive Arten, doch zum einen ist die gute Nachricht, dass es auf dem Festland bisher keine komplette Vertreibung oder Ausrottung von einheimischen Arten durch invasive Arten gegeben hat. Und zum anderen wird es uns auch nicht gelingen, diese dominanten Arten auf einem Kontinent wieder zu eliminieren. Direkte Verfolgung als zweiter Faktor ist bei uns staatlich sehr gut geregelt, so dass wir nicht mit Problemen wie Illegaler Jagd in massiven Ausmaßen zu kämpfen haben. Zwei dieser fünf Haupttreiber können wir also eher hintenanstellen. Betrachten wir den Aspekt des Klimawandels sehen wir, dass die Natur uns hilft, die Effekte des Klimawandels zumindest zu begrenzen. Unser Ziel sollte auch dadurch sein, der Natur wieder mehr Raum zu geben. Dafür müssen wir alle Ökosysteme, die noch intakt sind, erhalten. Zudem haben Renaturierungsmaßnahmen für die Förderung von Biodiversität – also Ihr Thema – das größte Potenzial, das wir in Deutschland haben.
Man muss auch sagen, dass Deutschland in Hinblick auf Biodiversität nun kein hoch diverses Land ist. Biodiversität ist aber, wie wir wissen, auch nicht gleich verteilt. Es gibt starke Argumente dafür auch etwas bei uns zu tun, um bestimmte Organismen wie beispielsweise den Rotmilan oder die Rotbuche zu schützen. Für diese Tier- und Pflanzenarten trägt Deutschland eine große Verantwortung, weil deren Hauptverbreitungsgebiet auf unserem Staatsgebiet liegt. Das gleiche gilt zum Beispiel auch für das Wattenmeer der Nordsee – wenn sich Deutschland nicht darum kümmert, wird dieses Ökosystem langfristig verschwinden.
"Immer mehr Menschen und Unternehmen verstehen, wie wichtig Biodiversität ist."
Wenn wir über Klimaschutz als einen der Haupttreiber für den Verlust von Biodiversität sprechen, fällt früher oder später der Begriff CO2 als gängige und greifbare Maßeinheit. Betrachten wir den Bereich Biodiversität: Kann und wird es so eine Maßeinheit auch für Biodiversität geben, die sich interpretieren lässt wie CO2?
Dr. Frauke Fischer: Verschiedene Ansätze zur Messung von Biodiversität haben wir mit Sicherheit bereits. Wir werden jedoch kein Äquivalent zur Bewertung von Ökosystemen und Biodiversität ermitteln können, weil die Vielfalt des Lebens viel komplexer ist.
Betrachtet man Aspekte wie künstliche Intelligenz oder machine learning ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass wir in Zukunft viel größere Datenmengen zur Verfügung haben und diese so aufbereiten können, dass wir eben doch vielleicht mal Maßeinheiten für Biodiversität auf Flächen haben. Vor 100 Jahren hätte auch keiner gedacht, dass es mal ein Smartphone geben würde, insofern würde ich mich da auch nicht rausnehmen. Positiv zu betrachten ist auf jeden Fall, dass immer mehr Menschen und Unternehmen verstehen, wie wichtig Biodiversität ist. Daher ist eigentlich auch zu erwarten, dass es einen großen wissenschaftlichen und vielleicht auch technologischen Fortschritt geben wird in dieser Frage.
Trotzdem unterscheiden sich CO2 und Biodiversität in fundamentalen Aspekten. Bei CO2-Bilanzierung oder Ausgleich von Klimagasen haben wir beispielsweise immer den gleichen Effekt, ganz egal wo auf der Welt emittiert wird. Dieses Schema lässt sich auf Biodiversität jedoch nicht beziehen, da so viel mehr Komponenten mit einbezogen werden müssen. Deshalb haben wir auch kein quantifiziertes Biodiversitätsziel, wie das 1,5 °C – Ziel beim Klimaschutz. Das Ziel muss hier umfassender und in gewisser Hinsicht fundamentaler sein. No net loss – net gain! Besonders da wir es bei der Zerstörung von Biodiversität mit Prozessen zu tun haben, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Also kann es für die Zerstörung von Biodiversität eigentlich keine Kompensationsmöglichkeiten geben?
Dr. Frauke Fischer: Genau. Also eine Aufwertung von Ökosystemen, wie Sie es mit green account vornehmen, ist natürlich wichtig für die Tier- und Pflanzenarten. Indem Flächen aufgewertet werden, geben wir den Arten wieder Lebensraum zurück und tun etwas für die Biodiversität. Wir reduzieren das Aussterberisiko und tragen zur genetischen Vielfalt bei, da die Bestände der jeweiligen Arten mit mehr Lebensraum zunehmen können. Allerdings leisten wir mit dieser Arbeit keinen Beitrag zur Artenvielfalt, weil ja keine neuen Arten geschaffen werden können. Und eben dieses Aussterben von Tieren und Pflanzen, das kann nicht kompensiert werden.
Wie wir immer wieder merken ist Biodiversität in der Tat ein sehr komplexes Themenfeld, welches für viele Menschen schwer greifbar ist. Lässt sich aus Ihrer Sicht die Ableitung „Je hochwertiger und diverser der Lebensraum desto mehr Biodiversität“ aufstellen?
Dr. Frauke Fischer: Nein, denn die Abundanz, also der Aspekt genetischer Vielfalt, spielt natürlich auch eine Rolle. Wenn wir das Beispiel des deutschen Wattenmeers wieder aufgreifen, lässt sich sagen, dass andere Bereiche Deutschlands, wie wahrscheinlich sogar die Frankfurter Innenstadt, mehr Tier- oder Pflanzenarten als das Wattenmeer beheimatet, da es extrem artenarm ist. Es gibt also unter Umständen artenarme Regionen auf unserem Planeten, die aber über ein ganz besonderes und an diesem Ort einmaliges Arten Set verfügen, welches es zu schützen gilt.
Als abschließender Ausblick: Glauben Sie, es werden zukünftig auch Unternehmen freiwillig und aus Überzeugung in Naturprojekte und Biodiversität investieren?
Dr. Frauke Fischer: Also, wenn ich daran denke, wie es noch vor 20 Jahren war: da haben Unternehmen zu mir gesagt, dass Naturschutz Aufgabe des Staates oder von Naturschutzorganisationen sei und sie damit nichts zu tun hätten. Das hat sich stark verändert. Es gibt einige Unternehmen, die diese großen Herausforderungen sehen und erkennen, dass da etwas passieren muss. Dadurch sind sie auch bereit über die gesetzlichen Anforderungen hinaus zu gehen.
Das wichtigste zu Dr. Frauke Fischer
Als promovierte Biologin, Unternehmensberaterin und Universitätsdozentin beschäftigt sich Frauke Fischer insbesondere mit den Themen Biodiversität und Ökosystemleistungen. Mit Ihrer Agentur "auf!" berät sie Unternehmen in ihrem Engagement in den Bereichen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Erhalt der Biodiversität.
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