August 12, 2025

Vom Acker zur Heide: Wie eine historische Kulturlandschaft zurückkehrt

Wenn man heute durch Niedersachsen fährt, sieht man endlose Äcker, Weiden und Wälder. Dass große Teile dieser Landschaft vor 100 Jahren noch von Heidelandschaft geprägt waren, ist kaum vorstellbar. Am Teichgut Oerreler Heide holen wir diese verlorene Kulturlandschaft zurück – ein Prozess, der mehr erfordert als nur das Aussäen von Heidekraut.

Die Heide: Kulturlandschaft, nicht Urlandschaft

Ein weit verbreiteter Irrtum: Die Lüneburger Heide und ähnliche Heidelandschaften sind keine „unberührte Natur”, sondern das Ergebnis jahrhundertelanger Beweidung.

Ohne menschlichen Einfluss wäre Norddeutschland weitgehend bewaldet. Doch schon seit dem Mittelalter wurden große Flächen durch Heidschnuckenhaltung offengehalten. Die Schafe fraßen junge Baumsetzlinge und hielten so die Heide offen. Zusätzlich wurde das Heidekraut geschnitten und als Einstreu in Ställen verwendet – ein wichtiger Teil der traditionellen Landwirtschaft.

So entstand über Jahrhunderte eine offene, nährstoffarme Kulturlandschaft mit ihrem charakteristischen Bewuchs: Gemeine Heide (Calluna vulgaris), Wacholder, vereinzelte alte Eichen und Kiefern.

Vom Ödland zum Acker: Die Intensivierung der Landwirtschaft

Im 19. und 20. Jahrhundert galten Heideflächen zunehmend als „Ödland”, unwirtschaftlich und rückständig. Mit dem Aufkommen von Kunstdünger wurden viele Heideflächen umgebrochen und in Äcker verwandelt.

Auch die Flächen am Teichgut Oerreler Heide, die wir jetzt renaturieren, wurden irgendwann in der Vergangenheit zu Ackerflächen. Jahrzehntelang wurden sie konventionell bewirtschaftet: gedüngt, gespritzt, intensiv genutzt.

Die Folgen für den Boden:

  • Hoher Nährstoffgehalt, vor allem Stickstoff und Phosphor
  • Verarmung der Bodenmikrobiologie durch Pestizide
  • Verlust der Mykorrhiza-Pilze, die für Heide essentiell sind
  • Verdichtung durch schwere Maschinen

Einfach Heidesamen aussäen würde hier nicht funktionieren. Der Boden muss erst wieder die richtigen Bedingungen bekommen.

Der Entzugsanbau: Nährstoffe raus aus dem System

Deshalb starteten wir im Herbst 2025 mit Entzugsanbau. Auf den ehemaligen Ackerflächen wächst jetzt Roggen, aber nicht als normale Feldfrucht, sondern als Werkzeug der Bodenregeneration. So funktioniert es:

Keine Düngung

Der Roggen bekommt keinen zusätzlichen Dünger. Er muss sich die Nährstoffe aus dem Boden holen.

Entzug von Stickstoff und Phosphor

Roggen ist ein ausgezeichneter „Nährstoffsammler”. Über seine Wurzeln nimmt er große Mengen Stickstoff und Phosphor auf und baut sie in seine Biomasse ein.

Abtransport der Biomasse

Im Sommer wird der Roggen geerntet und abtransportiert. Mit jedem Halm verlassen Nährstoffe das System.

Wiederholung

Dieser Prozess wird 1-2 Jahre lang wiederholt, bis der Boden wieder nährstoffarm genug ist.

Nur auf kargem Boden kann die Heide sich gegen konkurrenzkräftigere Gräser und Kräuter durchsetzen. Das klingt paradox, ist aber der Schlüssel: Die Heide ist eine Spezialistin für schlechte Böden.

Die unsichtbaren Helfer: Mykorrhiza-Pilze

Doch Nährstoffentzug allein reicht nicht. Die Heide braucht Mykorrhiza-Pilze, um überhaupt überleben zu können.

Was sind Mykorrhiza?

Mykorrhiza ist eine Symbiose zwischen Pflanzenwurzeln und Pilzen. Die Pilzfäden (Hyphen) dringen in die feinen Wurzeln der Heide ein und bilden ein dichtes Netzwerk im Boden.

Was die Pilze für die Heide tun:

  • Sie erschließen Nährstoffe aus dem Boden, die die Pflanze allein nicht erreichen könnte
  • Sie vergrößern die effektive Wurzeloberfläche um das Hundertfache
  • Sie helfen bei der Wasseraufnahme in trockenen Perioden
  • Sie schützen vor bestimmten Krankheitserregern

Was die Heide für die Pilze tut:

  • Sie versorgt die Pilze mit Zucker aus der Photosynthese
  • Sie bietet einen stabilen Wirt

Ohne diese Pilze kann die Gemeine Heide auf nährstoffarmen Böden nicht überleben. Das Problem: Jahrzehnte intensiver Landwirtschaft mit Pestiziden haben die Mykorrhiza-Pilze aus dem Boden verdrängt.

Regeneration der Bodenmikrobiologie

Deshalb verzichten wir während des Entzugsanbaus komplett auf Pestizide und Pflanzenschutzmittel. Der Boden soll sich erholen.

Die Mykorrhiza-Pilze müssen sich wieder ansiedeln – entweder aus winzigen Resten im Boden oder durch Einwanderung aus benachbarten Flächen. Dieser Prozess braucht Zeit, meist 1-2 Jahre.

Zusätzlich wird sich die gesamte Bodenbiologie regenerieren. Das heißt Bakterien, Regenwürmer, Bodenpilze aller Art und Nematoden und Milben werden hier wieder ein Zuhause finden. Ein lebendiger Boden ist die Grundlage für ein funktionierendes Heide-Ökosystem.

Die Wiederansiedlung: Schnittgut aus Naturschutzgebieten

Nach 1-2 Jahren Entzugsanbau ist der Boden bereit. Dann kommt der entscheidende Schritt: die Heideansiedlung.

Wir setzen dabei auf Schnittgut aus einem nahegelegenen Naturschutzgebiet. Der Landkreis Rotenburg unterstützt uns dabei. Das Schnittgut enthält:

  • Samen der Gemeinen Heide und Begleitarten
  • Pflanzenmaterial mit anhaftenden Mykorrhiza-Sporen
  • Die genetische Vielfalt der regionalen Heidepopulation

Das Schnittgut wird auf den vorbereiteten Flächen ausgebracht. Dann heißt es: Geduld haben. Die Heide wächst langsam. In den ersten Jahren sind es nur einzelne kleine Pflanzen. Nach 3-5 Jahren entsteht ein geschlossener Heideteppich.

Langfristige Pflege: Ohne Beweidung geht es nicht

Doch damit ist die Arbeit nicht getan. Heide braucht kontinuierliche Pflege, sonst verbuscht sie innerhalb weniger Jahre.

Traditell geschah das durch Heidschnucken – robuste Schafrassen, die auch mit dem nährstoffarmen Futter zurechtkommen. Sie halten junge Baumsetzlinge kurz und verjüngen die Heide durch Verbiss.

Alternativ kann die Heide auch durch kontrolliertes Brennen oder maschinelles Mähen gepflegt werden. Welche Methode wir langfristig am Teichgut einsetzen werden, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Eine Landschaft kehrt zurück

In 3-5 Jahren werden die ehemaligen Ackerflächen am Teichgut Oerreler Heide wieder zu Heidelandschaft – wie vor 100 Jahren, als diese Region noch von lilafarbenen Heideflächen geprägt war.

Es ist eine Reise durch die Zeit: Von der historischen Kulturlandschaft über die intensive Landwirtschaft zurück zur extensiven Nutzung. Ein Beispiel dafür, dass Naturschutz manchmal bedeutet, alte Bewirtschaftungsformen wiederzubeleben – und dass selbst stark veränderte Böden sich regenerieren können, wenn man ihnen Zeit und die richtigen Bedingungen gibt.